Die richtige Idee zur falschen Zeit.
Manche Geschichten sind fast zu schön, um wahr zu sein. Eine davon beginnt in Bietigheim, 20 Kilometer nördlich von Stuttgart.
Es ist 1991, das Jahr in dem »Besserwessi« das Wort des Jahres ist und »Wind Of Change« von den Scorpions elf Wochen die deutschen Charts anführt. Auch die drei Brüder Frank, Markus und Heiko Krämer haben Lust auf was Neues – vor allem, wenn damit Spaß und Nervenkitzel verbunden ist. Große Jungs eben. Frank, der älteste, ist 25 und zu dieser Zeit bereits ein gestandener Mechaniker, der für Ducati in der Deutschen Meisterschaft schraubt. Er liebt es, auf Minibikes durchs Fahrerlager zu fräsen. Gemeinsam mit seinen ebenfalls motorsportinteressierten Brüdern treibt ihn die Frage um, wie man »ohne Kohle Rennen fahren kann«.
Die Lösung ist ebenso genial wie brutal: Man nehme den Einzylinder einer Motorsense, schraube ihn auf ein Skateboard und gebe Gas. Der Werkzeugschrank im väterlichen Keller gibt alles her, was für einen fahrtüchtigen Prototypen nötig ist – und so wird das Ding gemeinsam gebaut. Wobei »Ding« es nicht trifft, was aus der Bietigheimer Garage rollt ist der furchterregende »Red Devil« – ein übermotorisiertes Monster, dessen 2,2-PS-Motor beim Beschleunigen für durchdrehende Wheels sorgt und das Board schwer kontrollierbar macht. Höchstgeschwindigkeit? Über 50 km/h. Egal, sonntags werden damit Rennen auf dem nahegelegenen Supermarktparkplatz gefahren, natürlich mit Helm und Lederkombi.
Nachdem Frank Krämer den »Red Devil« für Testfahrten auf die Rennstrecke nach Assen mitnimmt und dort bei Vmax abgeworfen wird, konstruieren die drei Hobbyrennfahrer ein zahmeres Gefährt, den so genannten »Public Racer«. Der hat »nur« 1,2 PS und steht ob seiner kultivierten Fahreigenschaften nicht im Verdacht, ein Witwenmacher zu sein. Drei Exemplare werden gebaut, nicht ohne Hintergedanken: Warum soll sich so ein Spaßbringer nicht vermarkten lassen?
Also schreibt man potenzielle Vertriebspartner an, und einer reagiert tatsächlich: Er sucht einen Eyecatcher für seinen Messestand auf der ISPO. Die Krämers wollen die Gelegenheit nutzen und in München Kontakte knüpfen, was in bescheidenem Rahmen auch gelingt. Als sich ein Interessent im Anschluss telefonisch nach den Produktionskosten des »Public Racer« erkundigt und die Antwort »Tausend Mark« erhält, wird am anderen Ende mehr oder weniger grußlos aufgelegt. Das war’s dann, ahnen die drei Brüder. Für viele Geschichten wäre hier Schluss, für diese nicht.
Denn den Rückschlag beim Aufbau eines Skateboard-Imperiums verdauen die drei Krämer-Brüder ziemlich schnell. Nach einem weiteren floppenden Projekt – Lautsprechern aus Plexiglas – entscheiden sich die leidenschaftlichen Tüftler für die Produktion von Hi-Fi-Racks. Mit ihrem ersten serienreifen Rack KONKAV landen sie einen Volltreffer und gründen 1994 die Spectral Audio Möbel GmbH. Einer der drei »Public Racer« hat die Jahrzehte überlebt und ist heute in der Spectral Firmenzentrale in Pleidelsheim ausgestellt. »Schon mit dem ersten Produkt waren wir unserer Zeit voraus«, konstatiert Frank Krämer nicht ohne Stolz. »Heute werden alternative Lösungen für die urbane Mobilität immer stärker nachgefragt – jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt für einen Public Racer 2.0.« Aber das ist eine andere Geschichte ...
text: marco schenck | photos: wolfgang seidl, seidldesign